Die Frage, mit der sich der Bibeltext für diesen Gottesdienst beschäftigt, erschließt sich uns am besten durch einen englischen Witz, den ich in einem Kalender gelesen habe:
One day a father asked his son: My son, what do you want to be when you grow up? The son answered: I want to be an idiot! The father was surprised: Why on earth do you want to become an idiot? The son answered: When we were driving on the motorway you told me: This idiot seems to own the motorway for he is driving a Porsche. When our neighbour got his house renovated you told me: This idiot does not know how to spend his millions. And after the elections you told me: Nowadays every idiot can become Prime Minister. So it must be the best profession to be an idiot.
Was mich an diesem Witz besonders fasziniert, ist die Bedeutung des eigentlich griechischen Wortes „idiotes“. Ein „idiotes“ ist ein Mensch, der sich mit sich selbst beschäftigt. Das ist ja nun eigentlich nicht schlecht, wenn ich auch einmal an mich denke. Jeder Mensch braucht das wahrscheinlich. Das Problem ist nur, dass wir letztlich ohne die anderen nicht glücklich sein können. Deshalb leben wir ja auch nicht als Einsiedler in einer einsamen Hütte im Wald sondern mit anderen zusammen in Dörfern und Städten und suchen die beglückende Begegnung mit anderen. Wir wollen in ihrem Leben eine Rolle spielen. Wer nur an sich selbst denkt, der steht also seinem Glück im Wege. Er ist wirklich ein Idiot.
Daher lautet die Frage eines Menschen, der sein Glück finden will: Was ist meine Rolle? Für wen bin ich wichtig? Wo werde ich gebraucht? Es gibt wohl kein Lebensalter, in dem wir uns nicht diese Frage stellen.
Schon Kinder sind froh, wenn sie mithelfen dürfen und dann hören, dass es ohne ihre Hilfe nicht geklappt hätte. Sie wollen auch eine Aufgabe haben und dafür Anerkennung erhalten, selbst dann, wenn sie ihre Zeit gerne mit Spielen verbringen.
Jugendliche fragen sich im Zusammenhang mit ihrer Ausbildung, wo sie später einmal einen Arbeitsplatz finden können. Und sie sind gleichzeitig bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren, wenn man ihnen deutlich macht, dass sie wirklich gebraucht werden. Und das gilt auch, wenn sie ihre Freizeit gerne auch genießen wollen.
Erwachsene in diesem Land engagieren sich neben ihrer Arbeitszeit oft ehrenamtlich, obwohl dann weniger Freizeit übrig bleibt. Es mag sein, dass sie mit ihrer Erwerbsarbeit nicht immer zufrieden sind und gerne auch etwas anderes tun. Entscheidend ist jedoch das Gefühl: Hier werde ich wirklich gebraucht. Ohne mich wird alles schwieriger.
Von Rentnern heißt es, sie hätten keine Zeit. Warum? Weil sie so viele Aufgaben entdecken, für die sie gebraucht werden und die sie gerne übernehmen. Mein Großvater war ein so leidenschaftlich engagierter Ruhestands-Pfarrer, dass meine Großmutter zuweilen das Telefon abnahm und erklärte „Mein Mann hat leider keinen Termin frei“, nur damit sie auch einmal etwas Zeit mit ihm verbringen konnte.
Manchmal stellen wir diese Frage auch im Rückblick. Was war meine Berufung? Was wäre eigentlich mein Lebensauftrag gewesen? Bin ich dort, wo ich meine Zeit eingesetzt habe, wirklich gebraucht worden oder wäre es wichtiger gewesen, wenn ich mich an einer anderen Stelle engagiert hätte?
Es ist eine schwierige Frage. Wir wissen zwar im Rückblick manches besser, aber eben auch nicht alles. Wir wissen nicht, wie sich unser Leben entwickelt hätte, wenn wir uns anders verhalten hätten.
Doch soviel ist deutlich: Wenn wir auf unsere Schulzeit oder unsere Ausbildung zurückblicken, dann bedauern wir es vielleicht, dass wir nicht das gelernt haben, was wirklich wichtig gewesen wäre.
Wenn unsere Kinder aus dem Haus sind, dann bedauern wir es, dass wir nicht mehr Zeit miteinander verbracht haben.
Wenn ein Mensch gestorben ist, dann fällt uns ein, worüber wir mit ihm eigentlich reden hätten sollen, um ihn überhaupt besser zu verstehen.
Und ich frage mich auch
im Blick auf meine Tätigkeit als Pfarrer: Habe ich mich in England um das
gekümmert, was wirklich wichtig war? Habe ich den Beitrag geleistet, den ich hier
leisten hätte sollen? Und kümmere ich mich in der mir verbleibenden um die
richtigen Aufgaben? Erledige ich das, was andere nicht erledigen können?
Wir wissen, dass dies eine religiöse Frage ist. Denn diese Frage stellt unser Leben in einen größeren Zusammenhang und sucht in diesem Zusammenhang nach Sinn. Als Christen nennen wir das große Ganze das Reich Gottes und fragen: Wo werden wir als Gottes Mitarbeiter gebraucht?
Diese Frage prägt nun auch den Bibeltext, über den ich mit Ihnen heute nachdenken möchte. Er steht in der Apostelgeschichte im 16. Kapitel und beginnt folgendermaßen:
Paulus und Silas zogen aber durch Phrygien und das Land Galatien, da ihnen vom Heiligen Geist verwehrt wurde, das Wort zu predigen in der Provinz Asien. Als sie aber bis nach Mysien gekommen waren, versuchten sie, nach Bithynien zu reisen; doch der Geist Jesu ließ es ihnen nicht zu. Da zogen sie durch Mysien und kamen hinab nach Troas.
Man muss die Landkarte der heutigen Türkei nicht genau kennen, um diese Reisebeschreibung zu verstehen. Paulus und Silas versuchen die einzelnen Provinzen der Türkei zu bereisen, um überall christliche Gemeinden zu gründen. Aber immer wieder kommt etwas dazwischen, das ihnen eine Änderung ihrer Reisepläne aufzwingt. So gelangen sie schließlich nach Troas, und dort ist ihr Weg zu Ende, denn Troas ist eine Hafenstadt und vor ihnen liegt nun die Ägäis.
Das kommt mir bekannt vor. Da macht man seine Pläne und überlegt, wo man wohl gebraucht wird, und dann wird einfach nichts daraus. Vielleicht scheitert eine Bewerbung, vielleicht wird man an eine andere Arbeitsstelle versetzt, vielleicht zwingt eine Krankheit zum Umdenken, vielleicht erfordert die Rücksicht auf die Familie zu einem Kurswechsel. Jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, warum er von Deutschland nach England gekommen ist, hat mir von solchen ungeplanten Umbrüchen in seiner Lebensplanung erzählt.
Oft sind wir im Rückblick froh über diese Umbrüche. Manchmal hadert einer jedoch auch mit seinem Schicksal. Da wäre es dann gut, wie Paulus sagen zu können: Es war doch eigentlich Gottes Geist, der mich zum Kurswechsel gezwungen hat. Er hat mich an einer anderen Stelle gebraucht, auch wenn ich das vielleicht immer noch nicht verstehe. Denn wenn Gott mich wirklich braucht, dann bin ich ja bereit, meine eigenen Planungen zurückzustellen. Und dann versuche ich natürlich herauszufinden, wozu Gott gerade mich hier brauchen könnte.
Dies wäre also der erste Rat, den diese Geschichte uns erteilt: Sieh das Misslingen deiner Pläne nicht als Katastrophe sondern als den notwendigen Weg, den du gehen musst, um ein guter Mitarbeiter Gottes zu sein.
Hören wir weiter auf die Geschichte:
Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.
Eine Erscheinung bei Nacht, also ein Traum, führt Paulus und Silas nach Mazedonien in Griechenland. Ein Mann aus dieser Gegend hat sie um Hilfe gebeten. Die beiden Missionare halten diesen Traum für einen weiteren Hinweis Gottes. Deshalb wagen sie die Reise über das Meer. Obwohl sie als gebildete Menschen natürlich auch griechisch sprechen, ist Griechenland schon eine andere Welt für sie. Wie für die meisten unter uns, die nach England gezogen sind.
Meine Frage ist: Kann man seinen Träumen trauen? Gewiss, eine Fülle Geschichten in der Bibel erzählen von solchen Träumen. Doch angesichts des Unsinns, den ich immer wieder träume, vermute ich eher, dass da alle möglichen Eindrücke verarbeitet und den Erfahrungen zugeordnet werden, anhand derer ich mein Leben zu verstehen versuche – und dass es recht schwierig ist, in solchen Träumen eine Botschaft Gottes zu finden.
Vielleicht gelingt das ja nur, wenn wir mit einer ernsthaften Frage einschlafen und Gott uns dann im Schlaf auf gute Gedanken bringt. Vielleicht beeinflusst die Frage „Wo braucht mich Gott?“ ja unsere Träume genauso wie der Krimi, dem wir in unseren Träumen wiederbegegnen. Vielleicht bearbeiten wir im Schlaf nicht nur den Mix aus unseren Alltagserfahrungen sondern auch unsere Sehnsucht nach Sinn in unserem Leben und unsere Frage nach dem Lebensauftrag, den wir von Gott erhalten. Vielleicht lassen uns unsere Träume einen Blick auf das Geheimnis eines gelingenden Lebens werfen.
Wir sollten jedenfalls den zweiten Rat der Geschichte ernstnehmen: Achtet eure Träume nicht gering. Sie verraten euch möglicherweise, was euch unbewusst bewegt. Sie sind nicht alle sinnlos. Es könnte in ihnen auch eine Antwort Gottes enthalten sein auf die Frage: Wo braucht Gott mich?
Die Geschichte schließt mit einer Wendung, die im Grunde nur den überraschen kann, der immer schon im voraus weiß, wie das Leben funktioniert:
Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da.
Damit hatten Paulus und Silas nicht gerechnet. Sie wurden gar nicht von einem Mann erwartet. Sie begegneten ein paar Frauen. Es scheint, als hätten Frauen in ihrem Leben bisher keine Rolle gespielt. Wahrscheinlich waren sie eine Männerwelt gewohnt, in der Frauen nur zur Bedienung da waren. In Griechenland jedoch entwickelte sich das anders. Eine dieser Frauen gründete die erste griechische Gemeinde. Andere folgten und wurden ebenfalls von Frauen geleitet. In Griechenland entwickelte sich eine Form des christlichern Glaubens, die den Christen in der Türkei und in Palästina sicher fremd war und die für Paulus wohl auch neu war.
Es ist gut, wenn sich nicht alles nach unseren Plänen entwickelt. Es ist gut, dass Paulus nicht auf diesen Mann gewartet hat, von dem er geträumt hat. Es ist gut, dass er die ersten Menschen, die sich für seine Botschaft interessierten, ernst genommen hat. Es ist gut, dass er sich nicht gefragt hat, ob diese Frauen überhaupt wichtig waren. Es ist gut, dass er nicht strategisch überlegt hat, ob er nicht zuerst den Bürgermeister der Stadt für seinen Glauben gewinnen hätte müssen. Das mag unsere Art und Weise sein, kirchliche Arbeit zu planen. Bei uns spielen Pläne zuweilen eine größere Rolle als die Menschen. Da ist es gut, wenn diese Geschichte uns daran erinnert, dass das bei Gott anders ist.
Der erste Mensch, der Paulus zuhört, der ist der Nächste, den er lieben soll. So einfach ist Gottes Strategie. Und so einfach könnte auch unsere Lebensstrategie sein: Dass wir uns einfach umblicken und uns den Menschen zuwenden, die wir in unserer Umgebung finden, anstatt von einer Lebensaufgabe in der Ferne zu träumen. Für diese Nächsten spielen wir in Gottes Reich eine wichtige Rolle. Für die Familienmitglieder also. Für die Nachbarn. Für die Arbeitskollegen. Für die Menschen, denen wir zufällig begegnen und denen wir gute Wegbegleiter sein könnten. Und für diejenigen, mit denen wir hier im Gottesdienst zusammentreffen. Es wäre doch tragisch, wenn einer von uns sterben würde und wir dann sagen müssten: Ich habe ihn kaum gekannt. Ich habe mich nie mit ihm unterhalten. Ich bin zwar jahrelang neben ihm gesessen, aber ich weiß nicht, was ihm wirklich wichtig war. Ich habe immer darauf geartet, einem wirklich wichtigen Menschen zu begegnen, und habe dabei die Menschen in meiner Nähe übersehen.
So lautet denn der dritte Rat der Geschichte: Last euch überraschen. Gott braucht euch möglicherweise anders, als ihr das erwartet. So nehmt das, was ihr an Erfahrungen mit den Menschen um euch herum macht, als Gottes Weg an.
Welche Lebensaufgabe habe ich? Wie kann ich es vermeiden, dass ich mich zu einem Idioten entwickle, der nur sich selbst sieht? Wahrscheinlich haben die Glaubenden und die Nichtglaubenden die gleichen Fragen und machen die gleichen Erfahrungen mit den Menschen um sie herum. Beide werden sie ihr Glück finden, wenn sie sich anderen zuwenden. Die Deutung dieser Erfahrungen jedoch macht den Unterschied. Wer sein Leben jeden Tag aus Gottes Hand entgegen nimmt, dem wird sich der tiefere Sinn erschließen. Wer mit den Worten des Psalms 73 angesichts der Enttäuschungen und Umbrüche in seinem Leben sagen kann „Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand“, der wird sein Glück auch gar nicht mehr von seinen Erfolgen abhängig machen. Und vielleicht wird er erkennen, dass der Sinn des Lebens letztlich auch gar nicht in dem besteht, was wir tun, sondern darin, dass wir es als Gottes Mitarbeiter tun und dass wir dabei das Reich Gottes entdecken, das unter uns und um uns herum wächst, mit unserem Zutun und auch ohne es.