Monthly Archives: May 2024

Pfingsten 2024

Ich danke dir Gott, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; dass erkennt meine Seele. Psalm 139,14

In den letzten Tagen habe ich oft zuhause in Bristol in unserem kleinen Garten hinterm Haus gesessen. Einfach so, ohne etwas zu tun. Manchmal hatte ich eine Tasse Kaffee oder ein Buch dabei. Eigentlich habe ich einfach nur so dagesessen und meine Umwelt beobachtet. Ich wollte die Zeit zur Vorbereitung meiner Predigt nutzen, was ich normalerweise am Schreibtisch mache. Aber das schöne Wetter hat mich nach draußen gezogen. War es also nichts mit der Predigtvorbereitung? Am Ende doch, denn ich habe die Zeit, die ich da im Garten saß, trotzdem intensiv genutzt. Ich habe nämlich etwas beobachtet. Bei uns hat sich in diesem Frühjahr im kleinen Garten hinter dem Pfarrhaus etwas ganz Spannendes ereignet. Als wir vor fast vier Jahren eingezogen sind, haben wir einen Nistkasten mitgebracht. Diesen Nistkasten hat unser zweitältester Sohn Simeon vor Jahren in der Schule aus Holz gebaut. Wir haben ihn dann mit nach Bristol umgezogen und ich habe ihn irgendwann an die Hauswand gehängt.

Und da hing er jetzt drei Jahre lang. Das ursprünglich helle Holz ist inzwischen grau geworden. Ansonsten ist nicht viel passiert bis zu diesem Frühjahr. Ich glaube im März hat meine Frau Helen festgestellt, dass sich ein Paar Blaumeisen für den Nistkasten zu interessieren scheinen. Ich war skeptisch, weil es sowieso nicht sehr viele Vögel in unserer Nachbarschaft gibt, bis auf ein Taubenpärchen, das regelmäßig kommt, um aufzupicken, was unsere Meerschweinchen auf dem Gras übriggelassen haben. Aber tatsächlich, die Blaumeisen haben sich in diesem Jahr unseren Nistkasten ausgesucht. In den letzten Tagen habe ich jetzt beobachtet, wie die Meiseneltern ständig ein- und ausfliegen. Man kann sogar erkennen, dass sie Insekten in den Schnäbeln tragen. Also scheinen die jungen Blaumeisen bereits geschlüpft zu sein.

Ich weiß nicht, ob Ihr das nachempfinden könnt, aber ich war fasziniert. Ich könnte stundenlang einfach da sitzen und das Treiben der Meiseneltern beobachten. Oft kommen sie im Minutentakt angeflogen. Man sieht sie schon von weitem kommen und dann fliegen sie ganz elegant genau auf das kleine Loch da im Nistkasten zu, um darin zu verschwinden. Von Außen ist kaum etwas zu hören, nur ein leises Piepsen. Aber ich stelle mir vor, dass da im Nest ordentlich Aufregung herrscht, wenn die Eltern auftauchen. Manchmal verschwinden sie auch beide gleichzeitig im Nistkasten.

Als ich da so in den vergangenen Tagen in meine Betrachtungen der nistenden Vögel versunken saß, habe ich dann ebenso Babyschreie aus der Nachbarschaft gehört. Ein paar Häuser weiter wohnt eine junge Familie, die wohl gerade ein Baby bekommen haben. Ich sitze also da in Bristol, in der Nachbarschaft mit all den Häusern und Straßen, und auf einmal wird mir bewußt, wie wunderbar doch diese Welt ist. Die nistenden Vögel, die Babyjauchzer – das hat mich tief berührt. Diese Welt ist voller Wunder und eigentlich wunderbar gemacht.

Das kommt mir nicht jeden Morgen so in den Sinn, wenn ich zum Beispiel die Nachrichten im Radio höre oder am Schreibtisch sitzend über die Welt nachdenke. Da frage ich mich manchmal, wo Gott eigentlich ist, ob es ihn überhaupt noch gibt? All das Leid, all das Ungenügen, die Probleme unserer menschlichen Welt, die so alt wie das Menschengedenken sind. Das legt sich manchmal wie ein Schleier auf die Augen oder wie ein Gewicht auf die Seele.

Deshalb bin ich froh, dass ich in diesen Frühjahrstagen einfach mal dagesessen bin, um diesen wunderschönen kleinen Vögeln zuzusehen, wie sie ihre Jungen versorgen. Dadurch habe ich das Bild neu begriffen, dass uns von Gott geschenkt ist: Er hält mich in seiner Hand, so wie er die gesamte Schöpfung in seiner Hand hält. Ich bin ebenso ein Geschöpf Gottes, ebenso wunderbar gemacht, einzigartig, so wie wir alle, jede und jeder von uns. So, wie es uns in der Taufe zugesagt wird: Gott sagt: Ich kenne deinen Namen, du bist mein geliebtes Kind. Nicht nur von deinen Eltern geliebt, sondern von mir, als deinem Schöpfer. Ich halte dich in meiner Hand.

Wir feiern das Fest des Heiligen Geistes, das Pfingsfest. Für mich war das in dieser Woche ein Geistesblitz. Ich habe mich in diesem Beobachten und in dieser Erkenntnis von Gottes Geist berührt gefühlt. In allem Dunklen und oft Niederdrückenden dieser Welt zeigt sich immer wieder, wie wunderbar sie von Gott gemacht ist. Gott, der das Leben für seine gesamte Schöpfung will, der uns die Liebe schenkt und uns spüren lassen will, dass wir geliebt sind. Amen.

I praise you, for I am fearfully and wonderfully made. Wonderful are your works; my soul knows it very well. Psalm 139:14

Over the last few days, I’ve often sat at home in Bristol in our little garden behind the house. Just like that, without doing anything. Sometimes I had a cup of coffee or a book with me. But I’ve actually just sat there and observed my surroundings. I wanted to use the time to prepare my sermon, which I normally do at my desk. But the beautiful weather drew me outside. So it was nothing with the sermon preparation? In the end it was, because I still made good use of the time I spent sitting in the garden. Because I observed something. Something really exciting happened in our small garden behind the vicarage this spring. When we moved in almost four years ago, we brought a nesting box with us. Our second eldest son Simeon built this nesting box out of wood years ago at school. We then moved it to Bristol with us and at some point I hung it on the wall of the house.

And it’s been there for three years now. The originally light-coloured wood has now turned grey. Apart from that, not much happened until this spring. I think it was in March that my wife Helen noticed that a pair of blue tits seemed to be interested in the nesting box. I was sceptical because there aren’t many birds in our neighbourhood anyway, apart from a pair of pigeons that regularly come to peck at what our guinea pigs have left on the grass. But in fact, the blue tits have chosen our nesting box this year. Over the last few days, I’ve noticed the tit parents constantly flying in and out. You can even see that they are carrying insects in their beaks. So it seems that the young blue tits have already hatched.

I don’t know if you can empathise, but I was fascinated. I could just sit there for hours and watch the tit parents go about their business. They often fly in every minute. You can see them coming from afar and then they fly elegantly towards the little hole in the nesting box and disappear into it. You can hardly hear anything from outside, just a quiet chirp. But I imagine that there is a lot of excitement in the nest when the parents appear. Sometimes they both disappear into the nest box at the same time.

Over the past few days, as I sat there lost in my contemplation of the nesting birds, I also heard baby cries from the neighbourhood. A young family lives a few houses away who have probably just had a baby. So I’m sitting there in Bristol, in the neighbourhood with all the houses and streets, and suddenly I realise how wonderful this world is. The nesting birds, the baby cries – it touched me deeply. This world is full of wonders and is actually wonderfully made.

That doesn’t occur to me every morning, for example when I listen to the news on the radio or sit at my desk and think about the world. Sometimes I ask myself where God actually is, whether he still exists at all? All the suffering, all the inadequacies, the problems of our human world that are as old as human memory. Sometimes it’s like a veil over ones eyes or a weight on ones soul.

That’s why I’m glad that I just sat there during these spring days to watch these beautiful little birds looking after their young. It made me realise anew the image that God has given us: He holds me in his hand, just as he holds all of creation in his hand. I am also a creature of God, just as wonderfully made, unique, just like all of us, each and every one of us. Just as we are promised in our baptism: God says: I know your name, you are my beloved child. Not only loved by your parents, but by me as your creator. I hold you in my hand.

We are celebrating the feast of the Holy Spirit, the feast of Pentecost. For me, it was a flash of inspiration this week. I felt touched by God’s spirit in this observation and in this realisation. In everything that is dark and often depressing in this world, it becomes clear again and again how wonderfully it is made by God. God, who wants life for all of his creation, who gives us love and wants us to feel that we are loved. Amen.

Ostern 2024

Liebe Gemeinde in der österlichen Zeit!

Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe hat Kirche und christlichen Glauben seinerzeit kritisch gesehen. Aber was die Übersetzung der zentralen christlichen Botschaft der Auferstehung in unser Leben bedeutet, das hat er genial in seinem Gedicht „Osterspaziergang“ aus dem ersten Teil des Faust beschrieben:

Jeder sonnt sich heut so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

denn sie sind selber auferstanden.

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Strassen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.

Über die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft sind in der christlichen Tradition viele Worte gesagt und geschrieben wurden. Manches geht dabei in die Richtung, in der Goethe gedacht hat. Zum Beispiel, wenn Martin Luther schreibt: „Es soll nicht bei den Worten der Auferstehung bleiben und ist Christo darum nicht zu tun, dass man davon hören oder reden kann, sondern dass es soll in unserem Leben empfunden werden.“

Was da tatsächlich am Ostermorgen geschieht, entzieht sich einer genauen Beschreibung. Die Berichte der Bibel erzählen die Auferstehung fast symbolisch: Die Hinweise sind vor allem der weggerollte Stein und das leere Grab. In den ersten Begegnungen wird der auferstandenen Jesus von seinen Jüngerinnen (die sich zuerst zum Grab trauen!) und Jüngern nicht erkannt. Erst nach und nach setzt sich bei ihnen die Erkenntnis durch, dass Jesus nicht tot ist.

Zunächst erkennen sie ihn nicht oder können es wahrscheinlich einfach nicht glauben. Außerdem sind sie in ihrer Trauer und Verzweiflung gefangen. Wie die beiden Emmausjünger, die nach dem Lukasevangelium dem sie begleitenden Auferstandenen von ihrer Trauer und Mutlosigkeit erzählen: Hast du es denn nicht gehört? Alles ist vorbei. Unsere Hoffnung mußte sterben. Aber zumindest sind sie zu zwei unterwegs und treffen auf einen Fremden, zu dem sie offenbar sofort Vertrauen fassen können und der ihnen geduldig zuhört. In dieser Begegnung ändert sich schon etwas. Das Licht von Ostern scheint vorsichtig hervor. Schließlich erleben sie eine intensive Gemeinschaft mit diesem Fremden, in dem sie den auferstandenen Jesus erkennen. Ihre Hoffnung lebt wieder auf und sie kehren um nach Jerusalem, um das Erlebte dort weiterzugeben.

Genauso belebt eilt Maria nach ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen, den sie zunächst für den Gärtner hält, zu den verängstigten Jüngern zurück. Sie schafft es dadurch offenbar, diese wirklich aus ihrer Angststarre zu befreien. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zum leeren Grab. Auch dem am Ende immer noch zweifelnden Jünger Thomas reichen alle Worte und Berichte nicht. Er muss selber direkt spüren und berühren, was es mit der Auferstehung auf sich hat.

Reden und Hören können das Wunder der Auferstehung nicht erklären, weil es sich sowieso dem rationalen Verstehen entzieht. Reden und Hören reichen auch nicht aus, um die Auferstehung in unserer Welt und in unserem Leben deutlich zu machen. Auferstehung braucht unser Gefühl und will mit dem Herzen erkannt sein. Nur in Worten weitergegeben, kann sie erschrecken und verstören oder sie führt zu Ungläubigkeit und Ignoranz: Das gibt’s doch gar nicht, das in unserer Welt etwas stärker ist, als der Tod.

Und doch gibt es die Auferstehung: Damals bei Jesus und seitdem bis heute immer wieder mitten unter uns.

Goethe hat das vor 200 Jahren genau erfaßt und beschrieben. Bei ihm geschieht Auferstehung nicht in Worten, sondern im Erleben: „Denn sie sind selber auferstanden“

Die biblischen Erzählungen geben uns Hinweise, wie das unter uns geschehen kann: Maria und die anderen ersten Zeugen der Auferstehung machen sich auf den Weg zu den anderen, die sich immer noch ängstlich versteckt halten. Damit setzt sich ein Impuls fort, der mit der Auferstehung beginnt. Am Ende können die Jüngerinnen und Jünger ihre Angst überwinden. Sie gehen wieder unter die Leute und leben das weiter, was Jesus ihnen aufgezeigt und vorgelebt hat: Gott liebt diese Welt und seine Menschenkinder. Gott steht auf der Seite des Lebens gegen alle zerstörerischen Mächte des Todes.

Auferstehung ist die göttliche Kraft, die in das Leben von uns Menschen hineinwirkt, die uns bewegt und in Bewegung bringt, eine Kraft, die höher ist als alle Vernunft und stärker als der Tod. Und das ist etwas, das wir mit dem Herzen empfinden müssen: in der Gemeinschaft, in gegenseitiger Anteilnahme und gegenseitigem Mutmachen oder einfach auch bei einem Frühlingsspaziergang in der wiedererwachenden göttlichen Schöpfung. Amen.

Dear congregation in the Eastertide!

The poet Johann Wolfgang von Goethe took a critical view of the church and the Christian faith in his day. But he brilliantly described what the translation of the central Christian message of resurrection into our lives means in his poem “Easter Walk” from the first part of Faust:

Everyone suns himself gladly today.
The Risen Lord they celebrate,

For they themselves have now arisen
From lowly houses’ mustiness,
From handicraft’s and factory’s prison,
From the roof and gables that oppress,

From the bystreets’ crushing narrowness,
From the churches’ venerable night,
They are all brought out into light.

Many words have been said and written in the Christian tradition about the meaning of the message of resurrection. Some of them go in the same direction as Goethe’s thoughts. For example, when Martin Luther wrote: “It should not remain with the words of the resurrection, nor is Christ therefore to be done that one can hear or speak of it, but that it should be felt in our lives.”

What actually happens on Easter morning defies precise description. The accounts in the Bible relate the resurrection almost symbolically: the clues are primarily the rolled away stone and the empty tomb. In the first encounters, the resurrected Jesus is not recognised by the women (who dare to go to the tomb first!) and his disciples. Only gradually do they come to realise that Jesus is not dead.

At first, they don’t recognise him or probably just can’t believe it. They are also trapped in their grief and despair. Like the two disciples of Emmaus who, according to the Gospel of Luke, tell the Risen Christ accompanying them about their grief and despondency: Have you not heard? Everything is over. Our hope had to die. But at least there are two of them travelling and they meet a stranger in whom they can obviously trust immediately and who listens to them patiently. Something changes in this encounter. The light of Easter cautiously shines through. Finally, they experience an intense communion with this stranger, in whom they recognise the risen Jesus. Their hope is revived and they return to Jerusalem to pass on what they have experienced there.

After her encounter with the risen Christ, whom she initially believes to be the gardener, Mary rushes back to the frightened disciples just as revitalised. In doing so, she apparently manages to really free them from their paralysis of fear. Together they make their way to the empty tomb. Even for the disciple Thomas, who is still doubting at the end, all the words and reports are not enough. He has to feel and touch directly what the resurrection is all about.

Talking and hearing cannot explain the miracle of the resurrection, because it defies rational understanding anyway. Talking and listening are also not enough to make the resurrection clear in our world and in our lives. Resurrection needs our feelings and wants to be recognised with the heart. If it is only communicated in words, it can frighten and disturb or lead to disbelief and ignorance: there is no such thing as something stronger than death in our world.

And yet there is a resurrection: back then with Jesus and since then, again and again among us. Goethe captured and described this precisely 200 years ago. For him, resurrection does not happen in words, but in experience: “For they themselves have risen”

The biblical stories give us clues as to how this can happen among us: Mary and the other first witnesses of the resurrection make their way to the others who are still fearfully hiding. This continues an impulse that begins with the resurrection. In the end, the disciples are able to overcome their fear. They go out among the people again and continue to live what Jesus has shown and exemplified to them: God loves this world and his human children. God is on the side of life against all the destructive powers of death.

Resurrection is the divine power that works into the lives of us humans, that moves us and sets us in motion, a power that is higher than all reason and stronger than death. And this is something that we must feel with our hearts: in community, in mutual sympathy and mutual encouragement or simply on a spring walk in the reawakening divine creation. Amen.